Autor: Hans Wilhelm Porschen
Die Zisterze Bottenbroich auf der Ville – ein fast vergessener Teil der Reformbewegung des Zisterzienser-Ordens im 15. Jahrhundert
Es macht Sinn, sich im Vorfeld dieser Betrachtung mit dem Begriff „Reform“ zu beschäftigen: aus dem lateinischen Wort „formare“ wird ganz einfach das deutsche Verb „ formen“ bzw. das Hauptwort „Form“. Reformieren bedeutet folglich aufgrund der Vorsilbe „re“ ein Umgestalten oder noch einfacher ausgedrückt ein Umformen. Bezogen auf Religionen – insbesondere christliche Glaubensgemeinschaften – sagt der Fremdwörter-Duden: Reform (oder Reformation) heißt sittliche, religiöse Erneuerung.
Dieser Erneuerungsprozess war auch bei den Zisterziensern kein einmaliges Ereignis sondern ein permanenter Vorgang. Dennoch ist festzustellen, dass insbesondere das 15. und 16. Jahrhundert das wesentliche und prägende Zeitalter der Reformbewegung war. Offensichtlich haben auch die Orden gemerkt, welche Geistes-Strömungen „frischen Wind“ in die Gesellschaft brachten, so dass sie sich gezwungen sahen, in dieser Entwicklung „mit zu schwimmen“.
Aber daneben gab es noch zwingendere Gründe, warum eine Erneuerung existentiell von Nöten war:
Nachlässigkeit bei den rituellen Handlungen, Verzicht auf die ursprüngliche Strenge in der Klostergemeinschaft, Misswirtschaft, Schuldenmacherei bis hin zum Bankrott, Verkauf der Abt-Würde in den sogenannten Kommenden; d.h.: der Abt wurde nicht gewählt oder vom Ordenskapitel ausgesucht, sondern die Funktion gegen große Summen veräußert, so dass die neue Führung ihre Pfründe aus den Klostereinnahmen zog, ohne überhaupt „ vor Ort“ tätig zu sein; mangelnde Bereitschaft zur Seelsorge und zur Wohlfahrtspflege, kein Interesse an Weiterbildung an den Universitäten, usw., usw.
Entschuldigungen und Erklärungen für diesen Niedergang gab es en masse: Kriegswirren, Plünderungen, Naturkatastrophen, ungeeignete Äbte, Druck von oben durch das Ordenskapitel, durch Bischöfe und Landesherren; und wenn gar nichts mehr ging, waren es einfach die schwierigen Zeitläufe !
In seinen heimatkundlichen Berichten der kath. Pfarrgemeinde St. Mariä-Himmelfahrt in Frechen-Grefrath hat Matthias Roggendorf ausführlich das Auf und Ab des Klosters Bottenbroich beschrieben- nicht nur das Ende des Nonnenklosters im Jahre 1448 wird erläutert, sondern auch die wirtschaftliche Entwicklung des Männerklosters – beginnend mit der Neubelebung durch Kloster Kamp bis hin zur notwendigen Inkorporation durch die Abtei Marienstatt im Jahr 1776; notwendig deswegen, weil Bottenbroich ohne Unterstützung von außen nicht weiter existieren konnte. Aber auf die tieferen Ursachen konnte Roggendorf nicht im Detail eingehen, weil ihm offensichtlich die Quellen fehlten.
Der Niedergang des Nonnenklosters hatte zwangsläufig seine Hauptursache darin, dass die Ordensoberen – das so genannte Generalkapitel – gerade zu dieser Zeit die Nonnenklöster – nicht nur in Bottenbroich – in gewisser Weise diskriminiert haben: notwendige Mittel wurden nicht bereit gestellt, zahlreiche Stiftungen und Schenkungen wurden „umgeleitet“ in Richtung der Männerklöster.
Es fehlte einfach die schützende Hand des Klostergründers Godefried von Münstereifel !
Im Gegenteil: die Nonnen hatten zwar eine Äbtissin, aber die entscheidenden Vollmachten lagen bei einem Abt. Auch der Beichtvater der Zisterzienserinnen war ein Mönch. Und bei dem Thema „Beichte“ darf man sehr wohl kritisch anmerken, dass bei diesem Sakrament ein gewisses „Herrschaftswissen“ entstand, was die Abhängigkeit der Nonnen noch erhöhte.
Im Übrigen war das auslaufende Mittelalter eine dunkle Epoche, in der Frauen nicht „auf Augenhöhe“ mit den Herren der Schöpfung leben durften. Dieses Spannungsverhältnis zwischen den Geschlechtern lässt sich an zwei Beispielen aus jener Zeit deutlich festmachen:
Zum einen gab es eine Reihe von Hexenprozessen, wobei auch vor Nonnen vielfach nicht Halt gemacht wurde, wenn es um den Vorwurf der Hexerei ging.
Zum anderen brauchten die Klosterinsassinnen für die tägliche Arbeit auch Laienbrüder – die so genannten Konversen . Wir können uns leicht ausmalen, wie die Männer darauf reagiert haben, wenn die Nonnen Aufträge oder Befehle erteilen wollten !
Insofern war Kloster Kamp bei Krefeld sozusagen der „rettende Anker“, an dem man sich festhalten konnte.
Aber aufgemerkt : nicht Nonnen bewirkten den Neuanfang; nein, es waren Mönche, die aus Kamp kamen.
Kloster Kamp war die erste Filiale des burgundischen Primärklosters Morimond auf „deutschsprachigem“ Boden. Bereits 1123 gegründet haben die Mönche von Kamp in schneller Folge Filial-Abteien aufgebaut oder Niederlassungen anderer Orden inkorporiert und weiter entwickelt im Sinne ihrer Lehren und Regeln.
Aber gerade in dieser rasanten Ausdehnung des Zisterzienser-Ordens lag der Keim für spätere Rückschläge auf spirituellem und wirtschaftlichem Gebiet: das Generalkapitel war nicht mehr in der Lage, unterschiedliche Strömungen zum Beispiel in der Liturgie, in der Sakral-Architektur , in der Buchgestaltung oder im wirtschaftlichen Gebaren „unter einen Hut“ zu bringen.
Interessanterweise waren unterschiedliche Sprachen wie niederländisch bzw. friesisch, französisch oder deutsch keine Barriere im Zusammenleben der einzelnen Abteien. Wir müssen uns einfach vor Augen halten, dass im frühen und auch im auslaufenden Mittelalter die sprachlichen Unterschiede nicht so ausgeprägt waren wie in den heutigen Nationalsprachen: ein Niederländer aus der Provinz Leiden konnte sich sehr gut und problemlos mit einem Mönch aus dem „germanischen“ Niederrhein-Gebiet unterhalten. Und was noch verblüffender ist: deutschsprachige Mönche, frühere Edelleute, haben die Abtei Morimond in Burgund mit aufgebaut, bevor sie wieder in ihre Heimat zurückkehrten.
So schickten auch die Äbte des Klosters Kamp Mönche aus ihrem Gebiet in die niederländischen Provinzen , um neue Filialen zu begründen: so zum Beispiel Warmond in der Provinz Leiden. In der Nähe befanden sich noch die Abteien Ijsselstein, Wateringen und Monnikendam.
Wenn wir in der Klosterchronik von Bottenbroich auf den Namen „Peter von Warmond“ stoßen, dann erkennen wir folglich sofort: dieser Mönch und spätere Prior kam aus der Kamper Filiale in Warmond.
Prior Peter war nicht der einzige Niederländer in Bottenbroich. Wir können annehmen, dass auch die Priore Laurentius von/ van (?) Bahlen,-Dyonis von/van (?) Scherpenseel, Bernhard von/van (?) Revensar, Adam van Hauten (auch Hautem geschrieben) niederländische Wurzeln hatten.
Wenn die Klosteroberen nicht immer den gewünschten Erfolg hatten, dann müssen wir auch die jeweiligen Zeitumstände beachten und dürfen den Prioren keine persönlichen Vorhaltungen machen.
Aber etwas ganz Anderes ist wichtig: um 1400 schließen sich die Klöster Sibulco, Ijsselstein und Warmond zur so genannten Colligatio Galilaeensis zusammen. Dieser lockere Verband von Abteien in den Niederlanden schafft es aus eigenem Antrieb sich zu reformieren: Verwirklichung der persönlichen Armut und gemeinsame Anspruchslosigkeit. Das drückt sich aus in der Bescheidenheit bei der Auswahl von Speisen und Getränken, in der Kleidung , durch eigene Handarbeit und durch den Verzicht auf Titel und Status einer Abtei. Hinter dem Armutsgebot steht die Forderung nach pünktlichem und strengem Vollzug der Liturgie und nach einer eremitischen Zurückgezogenheit – soll heißen: die Mönche durften ohne zwingenden Grund die Klosteranlage nicht verlassen. Ein solcher Anspruch stand natürlich im krassen Gegensatz zum Erwerb von Stadthäusern bzw. zu einer Handelstätigkeit der Mönche.
Auch an das Amt des Priors wurden strenge Maßstäbe angelegt, zumal er von der Mehrheit seiner Mitbrüder gewählt werden musste – also keine Bestellung von oben sondern die reine Demokratie !
Die Zahl der Laienbrüder (Konversen) wurde drastisch herunter gefahren, zumal sich gezeigt hatte, dass der Standesunterschied zwischen Mönchen und Laienbrüdern immer wieder zu heftigen internen Auseinandersetzungen führte – bis hin zu Mord und Totschlag !
Kloster Kamp selbst war nicht Mitglied der Kolligation, aber es hat die Reformen akzeptiert.
Das neu organisierte Leben der Mönche in den drei Klöstern fand viele Bewunderer – nicht nur bei der Zivilbevölkerung sondern auch bei der Kurie, im Episkopat und in anderen Zisterzen. Schon 1428 gestattet Papst Martin V., dass auch andere Klöster sich den Reform-Abteien zuwenden.
Ungefähr in der Mitte des 15. Jahrhunderts –wahrscheinlich im Jahr der Übernahme durch Mönche aus Kloster Kamp – wurde auch Bottenbroich in die Kolligation aufgenommen. In diesem wichtigen Jahr 1448 haben sich auch die beiden westfälischen Wilhelmitenkonvente Groß- und Klein-Burlo den Zisterziensern angeschlossen und die Reformprozesse weiter voran getrieben.
Es war auch Ausdruck der Reformen, dass Zisterzienser aus den grossen Abteien an den Universitäten studierten, was der Orden bis dahin mehr oder weniger unterbunden hatte. An dieser Stelle müssen wir allerdings nach der Quellenlage feststellen, dass Ordensbrüder aus Bottenbroich nicht bei den Hochschulen eingeschrieben waren.
Somit bleibt abschließend festzustellen, dass insbesondere Priore, Mönche und Konversen aus den Niederlanden die Abtei Bottenbroich zu einer neuen Blüte führten – äußerlich erkennbar an:
– der Gründung der Filial-Abtei Mariawald in der Eifel im Jahr 1480,
– der Inkorporation der Pfarre Kierdorf mit ihrer Filiale Balkhausen 1517 und
– dem Kauf der Burg Benzelrath 1587,
um nur einige Beispiele zu nennen.
Dass diese Aufwärtsentwicklung im geistigen und wirtschaftlichen Sinne irgendwann ein Ende fand, ist dann schon wieder eine andere, aber ebenso spannende Geschichte.
Primär-Quellen:
I. „Die Zisterzienser – Ordensleben zwischen Ideal und Wirklichkeit“ (Katalog der Ausstellung des Landschaftsverbandes Rheinland, Rheinisches Museumsamt Brauweiler) heraus gegeben 1981 und im Speziellen daraus folgende Beiträge:
- „Zisterzienserinnen in Deutschland“ von Maren Kuhn-Rehfus,
- „Reformen und Kongregationsbildung der Zisterzienser im späten Mittelalter und früher Neuzeit“ von Kaspar Elm und Peter Fries.
II. Matthias Roggendorf in: Heimatkundlicher Bericht Nr. 7 der Pfarre St. Mariae-Himmelfahrt in Frechen-Grefrath, Februar 1996
III. Kaspar Elm: Spätmittelalterliche Reformbemühungen unter den Zisterziensern im Rheinland und in den Niederlanden in : „die niederrheinischen Zisterzienser im späten Mittelalter“, 1992, Rheinland-Verlag GmbH, Köln
Sekundär-Quelle:
Das Klosterdorf Bottenbroich auf der Ville, dbh-Verlag, 2009, Herausgeber: Volker H. W. Schüler /Hans W. Porschen /hier spezieller Hinweis auf die S. 95 ff.:
„Die Ludwig-Axer-Chronik von 1644 – bearbeitet von Pfarrer L. Grubenbecher, 1874“ (persönliche Anmerkung des Autors Porschen: Grubenbecher und im zeitlichen Vorfeld Axer haben die Entwicklung des Kloster sehr detailliert beschrieben, aber auch den Fehler begangen, die erste Klostergründung in Bottenbroich den Prämonstratenserinnen zuzuschreiben. Diese Nonnen aus Füssenich hatten zwar Grundbesitz in Bottenbroich, aber eben kein Kloster.)
Frechen, 10. Januar 2023